Blockseminar und Exkursion des Masters Interdisziplinäre Polenstudien (Halle/Jena) nach Warszawa/Warschau, 12.-18. November 2017
Vom 12. bis zum 18. November 2017 fand zum vierten Mal im Rahmen einer Exkursion nach Polen das in den Master ‚Interdisziplinäre Polenstudien’ einführende Blockseminar statt. Wir waren an der Universität Warschau und am Institut für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften zu Gast. Eine Woche lang setzten sich die neuen StudentInnen der Interdisziplinären Polenstudien und benachbarter Studiengänge aus Halle und Jena mit dem Rahmenthema „Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit: Gender-Diskurse in Polen“ auseinander. Von Warschauer Seite her brachten sich diesmal Dr. Dobrochna Kałwa vom Historischen Institut der UW und Prof. Marek Łaziński vom Institut für Polonistik der UW aktiv in das Programm ein.
Der erste Block „Nur eine nützliche Kategorie? Gender in der (Geschichts-) Wissenschaft“, geleitet von Dr. Christian Werkmeister, stellte den TeilnehmerInnen zuerst die Entwicklung der Gender Studies im Allgemeinen vor. Wichtig war dabei die Schilderung einer Entwicklung, die als feministische Forschungsrichtung begann, sich dann einer umfassenden Akademisierung und Ausdifferenzierung unterzog und damit zur Öffnung vielfältiger wissenschaftlicher Disziplinen beitrug. Der zweite Programmpunkt war eine für die TeilnehmerInnen des Blockseminars maßgeschneiderte Führung: Beata Chomątowska von der NGO Stacja Muranów führte die SeminarteilnehmerInnen durch den Stadtteil Muranów, indem sie von berühmten Frauen, die dort im 19. und 20. Jahrhundert lebten bzw. mit dem Stadtteil verbunden waren, erzählte. Einzelnen Stationen der Stadtführung galten den künstlerisch originell gestalteten Wandmalereien (Murale).
Auf dem Programm am Dienstag stand der literaturwissenschaftliche Block „Männlichkeit im Wandel? Auf der Suche nach einer Antwort in der polnischen Literatur“, der von Joanna Sulikowska-Fajfer gestaltet wurde. Der Block beschäftigte sich mit Männer- und Frauenbildern in der polnischen Gesellschaft und Literatur. Nach einer Einführung in die literaturwissenschaftliche Entkopplung zwischen AutorIn und Interpretation folgte eine interaktive, spielerische Umsetzung der zwei ausgewählten Autoren und deren literarischen Schaffens. Ein Referat, das auch die Unterschiede zwischen feministischer und Genderliteratur aufzeigte, führte in die Entstehung der Genderliteratur in Polen ein. Am Nachmittag desselben Tages übernahm Christoph Maisch aus Jena die inhaltliche Regie mit dem Block „Gender, Macht und Intersektionalität“. Den Auftakt bildete ein ‚Privilegien-Test‘, der den TeilnehmerInnen verdeutlichte, wo selbst in scheinbar homogenen Gruppen eine systematische Privilegierung bzw. Diskriminierung stattfindet. Im Rahmen des Blocks wurden auch zwei Referate präsentiert: eines zu thematischen und praktischen Zusammenhängen von Politikwissenschaft, Macht und Intersektionalität, das zweite zur intersektionaler Diskriminierung und Privilegierung von Frauen im sowjetischen Militär und in der Armia Krajowa in Polen.
Am Mittwoch konzentrierten sich die StudentInnen auf sprachwissenschaftliche Aspekte der Gender-Diskurse. PD Dr. Vladislava Warditz gestaltete in Zusammenarbeit mit Prof. Marek Łaziński gemeinsam den Teil „Genderlinguistik und das polnische Anredesystem“. In zwei studentischen Vorträgen wurden unterschiedliche Funktionen von Geschlecht beleuchtet. Ein Beitrag befasste sich mit der allgemeinen Entwicklung der Disziplin, ein weiterer thematisierte das polnische Anredesystem. Abends traf sich die Gruppe zum Kooperationstreffen mit den StudentInnen und MitarbeiterInnen des Historischen Instituts der UW, in dem die VertreterInnen des sog. historischen wissenschaftlichen Studentenkreises (poln.: Koło Naukowe Historyków) Einblicke in ihre Interessen- und Tätigkeitsfelder gewährten.
Aufbauend auf den guten Krakauer Erfahrungen aus dem Vorjahr fand auch in diesem Jahr der historische Block, diesmal zum Thema „Geschlechterrollen in den polnischen Aufständen des 19. Jahrhunderts“ nicht in universitären Räumlichkeiten, sondern im Nationalmuseum Warschau statt. Eine theoretische Einleitung in die Thematik übernahm die Historikerin und Expertin im Feld der Gender Studies in Polen, Dr. Dobrochna Kałwa. Die detaillierte Vorstellung der einzelnen Bilder sowie die zum Panel gehörige Diskussion übernahmen zwei StudentInnen der Geschichte. Diese Form der Diskussion traf auch diesmal auf ein sehr positives Echo.
Durch die zentrale Unterbringung im Studentenwohnheim Dziekanka im Stadtzentrum hatten die StudentInnen einen direkten Zugang zu allen Sehenswürdigkeiten in der Altstadt und den angrenzenden Stadtteilen. Dieses Angebot nutzten sie ausgiebig, angefangen von Besuchen in Kinos und Museen, über längere Spaziergänge, bis hin zu Fahrradtouren in den Stadtteil Praga. David Löblich, Student aus Halle, berichtet: „An einem weiteren Tag fand ich sehr interessant, in einer kleinen Gruppe Praga zu erkunden und so auch Teile von Warschau zu sehen, die man sonst nicht sieht. Dabei war der Besuch des Praga-Museums in der Targowa-Straße ein besonderes Highlight, da dort die Geschichte des Stadtteils unter interessanten Gesichtspunkten (alltags- und mentalitätsgeschichtlichen Ansätzen) didaktisch qualitätvoll dargestellt wurde.“
Isabella Gayk aus Jena fügt hinzu: „Besonders das Stadtviertel Praga, das an vielen Ecken noch einen morbiden Vorkriegscharme versprüht, steht für tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen. In Praga haben noch vor 10 Jahren hauptsächlich ärmere Teile der Bevölkerung gelebt, und das Viertel war vor allem für Kriminalität und Gewalt bekannt. Heute entwickelt sich das Viertel nach und nach zu einem alternativen Künstlerviertel.“ Gerade jene neben den inhaltlichen Teilen zusammen verbrachte Zeit hat zur Konsolidierung der Studentengruppe beigetragen.
Das Blockseminar in Polen wird von den StudentInnen als konkrete Umsetzung des Studienprofils angesehen. Laura Krebs aus Halle kommentiert: „Schon als ich mein Zulassungsschreiben für die Polenstudien erhalten habe, hat es mich sehr gefreut zu sehen, dass der Name wirklich Programm ist und von Beginn an ein enger Bezug zum Land aufgebaut wird. (…) Ich habe die Seminare als sehr intensiv empfunden; sinnvoll fand ich auch, dass alle Beiträge um ein Oberthema gruppiert waren.“ Dass das Format sich bewährt hat, bestätigt auch Sophie Becker aus Halle: „Ich habe die Diskussionsrunden als sehr aufgeschlossen empfunden, was, denke ich, an der durchdachten Zusammenstellung der Texte und der allgemein guten Stimmung der Exkursion lag. Dass ich so viel aus der Fahrt mitnehmen konnte, lag auch an dem vielfältigen Programm, der sehr guten Organisation und dem interdisziplinären Ansatz.“ Nicht nur die interdisziplinäre Zusammensetzung des Programms, sondern auch der Gruppe, wurde als eine zusätzliche Stärke des Seminars betrachtet: „Gerade bei gesellschaftlich komplexen Fragen ist es eine Bereicherung, sich mit Studierenden aus der Geschichte, Sprach- und Kulturwissenschaft, Theologie und Politik unterhalten zu können“, kommentiert eine Teilnehmerin aus Jena.