Feldforschungsreise zu den Lemken, 27.09.–04.10.2024

Wissenschaftliche Erkenntnisse und linguistische Beobachtungen

Die Feldforschungsreise in die Woiwodschaft Kleinpolen, zu den von der lemkischen Bevölkerung bewohnten Gebieten, bot den Teilnehmenden eine einzigartige Gelegenheit, theoretische Kenntnisse in Dialektologie und Soziolinguistik praxisnah zu vertiefen. Unter der Leitung von Professor Dr. Ruprecht von Waldenfels (Friedrich-Schiller-Universität Jena) und Dr. Liudmyla Dyka (Kyjiw-Mohyla-Akademie) versammelten sich Dozierende und Studierende aus Jena, Kyjiw und Krakau, um die sprachliche und kulturelle Situation vor Ort zu erforschen.

Die ethnische Minderheit der Lemken leitet ihren Namen vom Wort lem (‘nur’) ab, das sehr charakteristisch für ihre Sprache ist. Ihre Einordnung als eigenständige Ethnie oder als Subethnie der Ukrainer*innen ist weiterhin umstritten. Bereits 1947 führte die sog. „Aktion Weichsel“ (Akcja Wisła) zu einer massenhaften Deportation zahlreicher polnischer Ukrainer*innen und Lemk*innen in den Norden und Westen des Landes.

Während der Feldforschungsreise wurden nicht nur sprachliche Daten erhoben, sondern auch wertvolle Einblicke in die Identitätsbildung und soziolinguistische Dynamiken der Region gewonnen. Das Lemkische, eine ostslawische Sprachvarietät, wird von einem Teil der Sprecher*innen als Dialekt der ukrainischen Sprache, von einem anderen als eigenständige Kleinsprache betrachtet. Interviews mit Muttersprachler*innen machten deutlich, wie eng die Sprache, die gesellschaftliche Wahrnehmung und die individuelle Identität miteinander verwoben sind.

Ein weiterer Schwerpunkt der Exkursion lag auch in der Erprobung der Hovirka-App, eines an der Universität Jena entwickelten digitalen Instruments zur Erfassung und Dokumentation von Dialekten. Die Feldtestphase lieferte wichtige Erkenntnisse über die Stärken und Schwächen des Tools, die in dessen Weiterentwicklung einfließen werden.

Internationale Zusammenarbeit und interkulturelle Erfahrungen

Die Exkursion war nicht nur eine wissenschaftliche, sondern auch eine kulturelle Bereicherung. Der Austausch zwischen deutschen, polnischen und ukrainischen Studierenden und Forschenden verlief äußerst produktiv. Die Zusammenarbeit im Team förderte das gegenseitige Verständnis und legte den Grundstein für eine zukünftige trilaterale Kooperation in der linguistischen Forschung und Lehre. Die Vielsprachigkeit innerhalb der Gruppe – mit Kommunikation auf Ukrainisch, Polnisch, Englisch und Deutsch – bot eine spannende Herausforderung und gleichzeitig eine hervorragende Gelegenheit, die eigenen Sprachkenntnisse zu erweitern.

Einige Eindrücke aus dem Feld

"Bezüglich dieser Expedition hatte ich unterschiedliche Erwartungen. Ich wollte mehr über die Lemken, die Russinen und ihre Kultur erfahren. Und das ist gelungen – insbesondere konnte ich die sprachliche Situation in der Lemkenregion besser verstehen und Sprecher der lemkischen Sprache kennenlernen. Für mich war es ein unglaubliches Vergnügen, von Menschen umgeben zu sein, die sich für Dialektologie und Soziolinguistik interessieren – ihre Gedanken und Diskussionen zu hören und daraus Neues für mich zu entnehmen. Ich bin dieser Reise dankbar für die Menschen, die ich bereits kannte, und für diejenigen, die ich neu kennengelernt habe. Täglich fünf verschiedene Sprachen zu hören – das war eine Erfahrung für sich! Aber wir haben uns gut verstanden, viele schöne Erinnerungen geschaffen und sogar lokale Memes entwickelt. Ich bin glücklich, dass es uns gelungen ist, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden – diese Expedition war für mich eine Art Neustart."
– Mariia Svitlyk, Studentin der Kyjiw-Mohyla-Akademie

"Die Teilnahme an der Exkursion war für mich eine äußerst bereichernde Erfahrung. Ich konnte viele neue Einblicke in die Forschung gewinnen. Mein Verständnis für die Datenerhebung im Feld hat sich erweitert, und ich habe ein stärkeres Bewusstsein für den sorgfältigen Umgang mit Metadaten und deren Dokumentation für die weitere Nutzung entwickelt. Zudem habe ich gelernt, wie man ein Interview vorbereitet und neue Kontakte knüpft. Die Gastfreundschaft der Menschen war unglaublich.
Die internationale Zusammenarbeit empfand ich als sehr inspirierend. Besonders beeindruckt hat mich die positive Ausstrahlung und Lebensfreude der ukrainischen Studierenden, die durch ihre Offenheit einen großen Mehrwert für die gemeinsame Arbeit geschaffen haben. Auch die Vielfalt der Arbeitssprachen – Englisch, Ukrainisch und Polnisch – bot eine ideale Gelegenheit, alle Sprachen zu üben. In Bezug auf meine familiäre Verbindung zu dieser Region wurde mir zudem bewusster, wie wichtig es ist, sich mit der eigenen Identität und der Rolle der Sprache auseinanderzusetzen. Ich möchte mich in Zukunft weiterhin mit diesem Thema beschäftigen und mehr über die Lemken erfahren."
– Vladimir Saypow, Student der Friedrich-Schiller-Universität Jena

"Auf dieser Reise in die Lemkenregion war es für mich besonders wertvoll zu erleben, wie die Dialektdaten, mit denen wir an der Universität arbeiten, in den Gesprächen mit Muttersprachlern lebendig wurden – in ihren Stimmen, ihren Erzählungen und ihrer Persönlichkeit. Neben der Vielfalt und dem Reichtum des Sprachmaterials konnten wir auch Stimmen und Zeugnisse über die Notwendigkeit sammeln, in der eigenen Sprache zu sprechen, über den Einfluss gesellschaftlicher Meinungen auf die Sprachwahl und Identität sowie über das Leben in einer mehrsprachigen Gesellschaft. Ich bin überzeugt, dass die gewonnenen Erfahrungen eine solide Grundlage für den Aufbau von Dialektkorpora bilden – mit besonderem Augenmerk auf Sprachdaten und die dazugehörigen außersprachlichen Informationen."
– Natalia Cheilytko, Mitarbeiterin der Friedrich-Schiller-Universität Jena


Die Exkursion wurde gefördert vom DAAD