Blockseminar und Exkursion des Masters Interdisziplinäre Polenstudien (Halle/Jena) nach Lublin, 23./24.-30. November 2019

Das sechste interdisziplinäre Blockseminar für StudentInnen des Masters Interdisziplinäre Polenstudien sowie benachbarter Studiengänge fand im November 2019 in Lublin statt. Es stand unter dem Titel „Das Andere – das Fremde?“ Wie in den Vorjahren haben wir uns dem Rahmenthema aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen angenähert. Dieses Prinzip fand Anerkennung bei den StudentInnen. Lukas Vogel, Student der Interdisziplinären Polenstudien in Halle schreibt: „Durch den betont interdisziplinären Ansatz des Blockseminars bestand meinerseits eine hohe Motivation, mich auch einem außerhalb der eigenen Disziplin verorteten Thema zu widmen. Dies war für mich vor allem aus dem Grund interessant, da es im normalen Uni-Alltag vergleichsweise schwierig ist, sich abseits der methodischen Einführungsseminare mit den Arbeitsweisen anderer Disziplinen auseinanderzusetzen.“

Das Programm bestand aus mehreren Themenblöcken. Zuerst näherten sich die Gruppe im Block „Spracheinstellungen: Wie werden die Nachbarsprachen Russisch, Ukrainische, Deutsch in Lublin wahrgenommen?“ dem Rahmenthema mit sprachwissenschaftlichem Instrumentarium. Den Block betreute Ruprecht von Waldenfels, unterstützt von seinem Lubliner Kollegen Wojciech Guz an der Katholischen Universität Lublin (KUL), wo diese Seminareinheit stattfand. Die sprachwissenschaftliche Arbeitsgruppe hatte ein psycholinguistisches Experiment vorbereitet, bei dem zunächst Nicht-MuttersprachlerInnen über eine Facebook-Initiative gebeten wurden, polnische Texte einzusprechen. Diese mit unterschiedlichen Akzenten eingesprochenen Texte dienten als Grundlage für ein ‚verbal guise‘-Experiment. Melanie Werra, eine Studentin, die schon im Vorjahr am Blockseminar teilgenommen hatte, lobte den sprachwissenschaftlichen Block: „Zum ersten Mal habe ich an einer Studie mitgewirkt und konnte sehen, wie so eine Umfrage entsteht, aber auch welche Probleme während der Erstellung, aber auch später bei den Rezipienten, auftreten.“

Direkt an die sprachwissenschaftliche Diskussion schloss sich ein Kooperationstreffen und ein gemeinsames Abendessen mit polnischen Studierenden und DozentInnen an. Dies stoß auf sehr positive Resonanz bei ihren deutschen KommilitonInnen. Naemi Six, Studentin der Philosophie und Germanistik aus Jena, fasst ihre Eindrücke zusammen: „Durch die Gespräche mit den Studenten hatte ich das Gefühl, einen kleinen Einblick in das Studentenleben in Lublin zu bekommen. Außerdem konnten wir uns ungezwungen über die Wahrnehmung der politischen Situation sowie verschiedene Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Deutschland und Polen austauschen, die mir davor nicht bewusst waren.“

Der zweite Seminartag startete mit dem literaturwissenschaftlichen Block, geleitet von zwei DoktorandInnen des Aleksander-Brückner-Zentrums, Iris Bauer und Johann Wiede. Sie hatten das Thema „Das vergangene Land. Literarische Strategien der (Selbst)Orientalisierung in der polnischen Gegenwartsliteratur“ gewählt und in den vorbereitenden Gruppensitzungen die Konzepte „Sarmatismus“, „Kresy“ und Postkolonialismus beleuchtet, die sie im Plenum erläuterten.

Der zweite Block am selben Tag ermöglichte den StudentInnen, sich mit geschichtswissenschaftlicher Methodik vertraut zu machen. Gemeinsam mit den Mitgliedern ihrer Arbeitsgruppe führte Yvonne Kleinmann in die Emotionsgeschichte, eine neuere Strömung der Geschichtswissenschaft, ein. Während der eintägigen Feldforschung im Vorfeld des Seminars hatte die Arbeitsgruppe in Lublin Erinnerungstafeln, Denkmäler, Friedhöfe und ein Museum erkundet, um zu dokumentieren, in welcher Form und in welcher emotionalen Tönung zu unterschiedlichen Zeiten und von unterschiedlichen Akteuren an die Geschichte der Juden erinnert wurde und wird.   Zwischen den offiziellen Programmpunkten hatten die StudentInnen und DozentInnen die Möglichkeit, sich in Gruppen oder individuell in der Stadt zu orientieren oder aus dem kulturellen Angebot zu schöpfen. Rebecca Braune schreibt: „Zusätzlich zu den Pflichtveranstaltungen wurden auch freiwillige Aktivitäten angeboten, wie beispielsweise ein Kinobesuch. Dadurch war jeder miteinbezogen, auch jemand, der vielleicht unsicher ist, weil er kein Polnisch kann, und niemand musste sich vernachlässigt fühlen.“

Der vierte Seminartag folgte einem anderen Szenario. Am Vormittag fuhr die Gruppe zur Gedenkstätte KZ-Majdanek. Bei diesem für alle emotional schwer zu verarbeitenden Besuch wurden die TeilnehmerInnen des Seminars von einem jungen österreichischen BA-Absolvent, der in der Gedenkstätte im Rahmen der Aktion-Sühnezeichen Friedensdienste sein freiwilliges Soziales Jahr absolviert, begleitet. Durch die Begegnung mit US-amerikanischen und israelischen Besuchergruppen auf dem Gelände erhielten alle einen Eindruck davon, auf welch unterschiedliche Weise in den einzelnen Ländern an die Shoah erinnert wird. Nach einer solchen bewegenden Besichtigung war es nicht leicht, zu den weiteren Programmpunkten des Seminars zurückzufinden. Auf dem Plan stand am späten Nachmittag ein zweiteiliger, von Paulina Gulińska-Jurgiel geleiteter kulturwissenschaftlicher Block, der das umstrittene Verhältnis zwischen Katholischer Kirche und Staat in Polen in den Blick nahm. Nachdem auf der Grundlage von Kurzpräsentationen der Arbeitsgruppe die übrigen StudentInnen ihre eigenen Fragen zu diesen Themenkomplexen herausgearbeitet hatten, begaben sich alle in das naheliegende Dominikanerkloster, wo mit dem Seelsorger Pater Stanisław Nowak OP, eine Diskussion durchgeführt wurde. Ken Kretschmer, Hallenser Student, fasst seine Eindrücke zu diesem Treffen zusammen: „Interessant war das an den Block angeschlossene Gespräch mit dem Dominikanerpater Nowak, welcher in der studentischen Seelsorge aktiv ist. Dieser zeigte auf, dass es innerhalb seines Ordens keine verpflichtende Linie für die Brüder gibt und offene Diskussionen über gesellschaftliche Kontroversen Bestandteil des Ordenslebens sind.“

Am letzten Tag erwarteten die Gruppe noch zwei Programmpunkte: Den seit Jahren etablierten Programmpunkt „Ressourcen Polenstudien“ mit wichtigen Informationen zu einschlägigen Forschungsreinrichtungen, digitalen Angeboten, Online-Plattformen etc. gestalteten Johann Wiede und Paulina Gulińska-Jurgiel aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven. Anschließend brach die Gruppe nach Kozłówka zum ehemaligen Schloss der adligen Familie Zamoyski auf, der ein besonderer Ort in der Lubliner Umgebung ist. In einer ehemaligen Stallung befindet sich heute eine Museumsrarität, die Galerie des Sozrealismus. In ihrer relativ kleinen Ausstellung werden Kunstwerke aus den 1950er Jahren zur Schau gestellt, die marxistisch-leninistische Ideale verkörpern und nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus durch Konservatoren nur verborgen vor der Öffentlichkeit gerettet werden konnten.

Die intensive Woche in Lublin ist wie im Fluge vergangen. Das Konzept eines thematisch zugespitzten interdisziplinären Seminars hat sich erneut bewährt. Diesen Eindruck bestätigen die studentischen Wortmeldungen. Helena Link, Studentin der Polenstudien aus Jena, schreibt: „Das Verhältnis von inhaltlichen Blöcken, eigenem Referat und kulturellem Angebot – wie die Stadtführung oder der Besuch des Lagers Majdanek – war sehr ausgeglichen und bot genügend Möglichkeiten, sich auf ganz unterschiedliche Weise mit der Geschichte und der Kultur des Landes Polen zu beschäftigen. Ich denke, dass die Exkursion sowohl mit als auch ohne Vorwissen zum Land für alle neue Einblicke ermöglicht hat. Es hat mich positiv überrascht, dass die ‚simple’ Fragestellung der Exkursion so vielseitige Annäherungen ermöglicht. […]. Die Kombination von Blockseminar und Exkursion finde ich gut und wichtig – vor Ort lassen sich Inhalte anders und nachhaltiger verknüpfen.“

Die positive Einschätzung des Seminars teilen auch StudentInnen anderer Fachrichtungen:

Rebecca Braune, Studentin der Interkulturellen Europa- und Amerikastudien kommentiert: „Durch das enge Beisammensein der Seminarteilnehmer in der Woche lernt man unglaublich viel, viel mehr als wenn man sich über ein Semester lang nur einmal wöchentlich treffen würde. Zudem ist die Atmosphäre aufgelockerter und man hat auch noch Spaß beim Lernen. Svenja Hoffmann, Studentin der Geoinformatik aus Jena, fügt hinzu: „Ich konnte viele neue Eindrücke sammeln und werde die Exkursion als schönes Erlebnis in Erinnerung behalten. Davor habe ich mich nie speziell für Polen als Land/ Kultur interessiert, die Exkursion hat mir nun einen Zugang dazu verschafft.“       


Die Exkursion wurde gefördert vom DAAD